Darum bin ich Krisencoach

Während meiner ehrenamtlichen Arbeit im Gefängnis hat ein Insasse einmal während einer AA-Sitzung zu mir gesagt: ​

"Du kannst uns weder helfen, noch uns verstehen, wenn du nicht selbst mal in dieser Situation warst."

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Damit hatte er nicht ganz unrecht. Ich wurde noch nie zu einer Haftstrafe verurteilt und war auch noch nie drogenabhängig. Aber ich wusste nur zu gut, wie es sich anfühlt, einsam zu sein, obwohl man von so vielen Menschen umgeben war. Wie es ist, sich als hoffnungslos gescheitert wahrzunehmen, wie schwer es fällt, dem täglichen Druck von außen Stand zu halten und eine Fassade aufzubauen, um ein Bild repräsentieren zu können, das alles zeigt, nur nicht mich selbst. Und ich kenne das Gefühl, nicht zu wissen, wer man ist, wo man hingehört, welche Identität man eigentlich besitzt, weil man so viele Jahre für andere da war, funktionierte und sich mit jedem Tag unbewusst ein Stück weit mehr selbst verlor.

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In den vergangenen Jahren bin ich selbst durch viele tiefe Krisen gegangen. Ich habe eine Fehlgeburt verarbeiten müssen, mich intensivst um pflegebedürftige Familienangehörige gekümmert, gearbeitet, studiert und irgendwie dabei noch versucht, meine Familie zusammenzuhalten und eine schöne Ehe zu führen. Ich war alles. Mutter, Seelentrösterin, Schwester, Tochter, Anker in der Not, Zuhöherin, Liebhaberin, Ehefrau, beste Freundin, Löwin, Koordinatorin. Alles in einem. Jeden Tag. Ich war so viel, nur nicht mehr ich selbst. 

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Es gab Tage, da schaffte ich es nicht mehr aus dem Bett, wollte nur noch schlafen oder weinen, dabei Schokolade essen und netflix gucken. Anstatt mir eine helfende Hand zu reichen, hagelte es von allen Seiten nur Kritik. Ich war das perfekte Angriffsziel für alle aus meinem Umfeld, die mit sich und ihrem eigenen Leben nicht zurecht kamen. Für alles bekam ich die Schuld, wurde ich an den Pranger gestellt, erwartete man von mir gefälligst sofort entsprechende Lösungen. Und natürlich wäre mein Mann ohne mich besser dran gewesen. Natürlich konnte man nicht verstehen, warum er nicht die erfolgreiche Ärztin geheiratet hatte, sondern mich.

Ging es nach den anderen war ich es also nicht nur schuld, dass meine Kinder Hilfe brauchten, ich hatte auch die so vielversprechende Zukunft meines Mannes ruiniert, weil er mich liebte.  Wer war ich also außer der Grund für alles Schlechte in meinem Umfeld? Wer war ich abgesehen von der Person, die 24/7 zu funktionieren hatte und auch das nicht mal gut hinbekam? Ich wusste es nicht. Und das war für mich rückblickend betrachtet das Schlimmste. 

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Ich erzähle dir all das, um dir zu zeigen, ich weiß, wovon du sprichst und ich weiß, wie du dich fühlst. Dieses ganze Wissen habe ich nicht aus Büchern oder durch Erzählungen und Vorträge erlangt. Da bin ich selbst durchgegangen. Über Jahre. Als ich es endlich geschafft hatte, mich aus diesem Umfeld zu lösen, hat es noch einige Zeit gedauert, all die Erfahrungen auch zu verarbeiten und zu lernen, damit umzugehen. Mir ist bewusst, dass du eine eigene Geschichte und einen eigenen Lebensweg hast und dabei möchte ich dich gern ein Stückchen begleiten. Ich möchte dir zuhören, dich und deine Situation kennenlernen und erfahren, wer du bist. Denn wenn du dich jemandem öffnest, der nicht wertet, nicht urteilt, dir keine Rolle zuteilt und dich einfach annimmt wie du bist, ist die Chance, dass du dich selbst verlierst, sehr gering :)